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Also mal ganz ehrlich, was wisst Ihr von Azerbaijan? Bei uns hörte das Wissen über dieses kleine Land am Kaspischen Meer damit auf, dass es eben am Kaspischen Meer liegt, die hauptstadt Baku heißt und vor ein paar Jahren mal jemand aus diesem Land den Eurovision Song Contest gewonnen hat. Das für diese Veranstaltung, welche dann ja immer darauffolgend im Lande des Siegers stattfindet, dann extra eine Halle gebaut wurde, haben wir noch irgendwo am Rande mitbekommen, aber das war es dann irgendwie auch. Das Gute daran ist, dass wir wirklich alles andere als voreingenommen den Grenzübertritt wagten. Auf Georgischer Seite wünschte ein Schild noch „Good Luck“, wodurch man mit einem zwiespältigen Gefühl in die Kontrolle einfuhr. Glück brauchte es aber wirklich nicht. So einen Grenzübertritt hat wohl bisher noch kaum jemand erlebt, immerhin wurden wir von den Grenzbeamten zu Tee und Kuchen eingeladen, weil es leichte Verzögerungen mit unserem E-Visum gab. Viele freundliche Worte, persönliches Geleit zu den einzelnen Stationen und ebenfalls sehr freundliche und fröhliche Einheimische die an den Schaltern warteten, gaben uns einen Vorgeschmack auf eine vollkommen andere Mentalität.
Die Vielfältigkeit dieses Landes ist wieder einmal enorm, so ging es über Schotterpisten (98% der Straßen seien befestigt) durch große Hasel- und Walnusswälder, vorbei an den südlichen, kahlen Ausläufern des Kaukasus-Gebirges, hinein in eine Steppen- und Wüstenlandschaft. Wir wollten Natur sehen und das außergewöhnlichste was Aserbaidschan zu bieten hat, waren Schlammvulkane. Ja genau, Berge, die mit Matsch werfen! Herrlich. Gesagt, Route gesucht, gefahren, ernüchtert. Google Maps hat also an manchen Stellen doch Nachholfbedarf. Nicht nur, dass sie „Straße“ nur eine festgewordenen, rumpelige Matschpiste war, sie war auch noch unglaublich lang. Wir konnten 20 km dieser Piste nur in Schrittgeschwindigkeit fahren. Man hofft ja immer, und manchmal hat man recht damit, dass die Straße nach einer gewissen Zeit besser würde. Diesmal weit gefehlt.
Als wir unseren Vulkan schon fast sehen konnten, verhinderten Schlammpfützen, fehlende ‚Straßen‘ und Neigungswinkel jenseites der 30° ein Weiterkommen. Ein netter Schäfer kam zu uns und erklärte mit Händen und Füßen, dass es für uns hier nicht weiterging, es jedoch auf der anderen Seite des Berges einen Weg gäbe. Wir begutachteten diesen und stellten 30 cm tiefe Furchen fest. Unüberwindbar für Ernst? Naja, ihr kennt uns. Es kam also auf einen Versuch an. Martin am Steuer, Laika schlafend, Conny als Einweiser. Ging doch! Wir fuhren weiter und weiter an den Vulkan, dessen Durchmesser ungefähr einen Kilometer betragen haben muss. Kurz bevor es dunkel wurde, zog Nebel auf und unser Vulkan wurde unsichtbar. Wir suchten uns einen Platz zum Übernachten. Menschen oder Häuser gab es ja keine mehr hier und wir warteten den nächsten Morgen ab. Mist. Also immernoch Nebel. Den Vulkanspaziergang konnten wir uns klemmen. Wir würden weder zum Vulkan noch wieder zurückfinden. Also hieß es: Ab Richtung Zivilisation. Den gleichen Rumpelweg zurück? Oder doch das nehmen, was etwas mehr wie Weg aussah auf Google Maps, wo aber keine Straße beschrieben war? Nun ja, wir versuchten unser Glück auf dem neuen, unbekannten Weg. Der nächtliche Nebel und die hohe Luftfeuchtigkeit waren aber gegen uns. Der Weg war matschig, teilweise stand das Wasser wohl schon länger. Plötzlich war da soetwas wie ein Deich… Mit Sichtverhältnissen unter 10 m konnte man nun auch nicht sehr vorausschauend fahren oder überhaupt wissen wo es lang ging. Die meisten Matschlöcher überwanden wir trotzdem einfach mit viel Schwung und die ein oder andere Bodenwelle war auch etwas unsanft, aber wir konnten uns schließlich aus Matschnebelniemandsland befreien. Zwei Bergketten weiter wehte Wind der den Nebel davon, die Sonne kam zum Vorschein und das herrlichste Wetter überhaupt war zu sehen. Enttäuscht, den Vulkan verpasst zu haben, trotz dieser Fahrstrapazen, suchten wir uns den kürzesten Weg zu einer befestigten Straße. Und da war er auf einmal! Unser eigener kleiner Matschvulkan. Wir kletterten hinauf, Martin machte Fotos und Laika suhlte sich unglücklicherweise für alle Beteiligten in der Pampe. So hatte dieser Ausflug doch noch ein Happy End und Laika einen Stealthpanzer.
In jenem Wüstenteil, einer Halbinsel im Kaspischen Meer, wächst nun aber auch eine hochmoderne Metropole aus der alten Stadt Baku heraus. Immer abwechselnd mit alten großen Hochhäusern aus Sowjetzeiten entstehen hier immer mehr funkelnde Prachtbauten, des Nachts durch viele LEDs der ganzen Stadt ein glitzerndes Antlitz verleihend. Es sind zwei Welten die hier direkt nebeneinander entstehen, denn von der ganzen Pracht ist auf dem Land und in kleineren Städten wenig bis gar nichts zu sehen. Außer natürlich den riesigen Flaggen, die in diesem Teil der Erde einfach nirgends fehlen dürfen. Eigentlich wollten wir hier in Baku nur schnell das Visum für Usbekistan beantragen, die knappe Woche Bearbeitungszeit abwarten und dann weiter in den Iran… Aber ihr wisst ja, wie das mit Plänen so ist, denn nun kamen wieder unsere Radlager ins Spiel. Wir hatten einige Firmen gefunden, die auf Kugellager spezialisiert sind, das passende liefern konnte davon leider keine. Was sie aber konnten war, uns anzubieten etwas aus Deutschland zu deren Adresse schicken zu lassen. Uns wurde gesagt der Versand dauerte 3-5 Tage, und das passte super in den Zeitablauf. Dies war einer der Momente, wo man sich vor Dankbarkeit über seine tollen Freunde zu Hause überschlagen könnte, denn dort sprangen Marcel und Svenja sofort in Lüneburg ins Auto, brausten nach Hamburg, kauften in zwei Läden die benötigten Teile und schubsten diese noch am selben Tag, an dem wir um Hilfe baten, in die Post. Ganz lieben Dank nochmal! Okay, in Deutschland stand leider Ostern vor der Tür…muss man vielleicht der DHL zu Gute halten…aber aus den erhofften 3-5 Tagen wurden leider doch ganze zwei Wochen.
Wir verbrachten die meiste Zeit des Wartens in einem neu angelegten Stadtpark, direkt an der Küste. Wir standen offenbar sehr lange dort, denn an den öffentlichen Toiletten brauchten wir nach kurzer Zeit nicht mehr nur nicht bezahlen, nein, wir bekamen sogar Bonbons geschenkt und viele liebe Grüße der Gärtner und Landschaftspfleger begleiteten jeden Tag. Ungenutzt wollten wir diese Zeit natürlich nicht lassen, so wurde selbstverständlich auch der Norden des Landes mit den Candy Mountains und den weitläufigen Obstplantagen besucht, aber auch Ernst sollte seine Pflegeeinheit bekommen.
Da der Motor nach der ganzen Kraftstoffsache in Georgien ziemlich rumpelig klang, war der Besuch in einer Fachwerkstatt angesagt. Bosch Dieselservice Baku klang da genau richtig. Wie die Ameisen stürzten sich gleich vier Mechaniker auf Ernst‘s Herz. Sie horchten, schraubten, verstellten, überprüften und tauschten letztendlich sogar den kompletten Tankinhalt aus.
Eine Schulung, wie man schlechten Diesel erkennen kann, gab es auch noch, denn die Qualität ist hier wohl unter aller Kanone. Vor einigen Jahren sprach man sogar von bis zu 30% Wasser im Diesel. Über vier Stunden werkelte man so herum…, das schlechte Gefühl, nicht genug Bargeld dabei zu haben, wuchs stetig. Zu unrecht. Denn Reisenden muss man helfen, so will es die Kultur in diesem Land. So großzügig wie es hier ausgelegt wurde, ging es uns aber schon arg ans Herz und an die Tränendrüsen, denn Geld wollte man von uns absolut nicht annehmen. Unsere Dankbarkeit für diese Menschen wird Ihnen hoffentlich Lohn genug sein, denn derer können Sie sich gewiss sein.
Ungewisses Warten kann zu einer Qual werden. Tag um Tag verging im Stadtpark von Baku. Aber in unserem Fall war es eines Tages dann doch Glück, denn sonst hätten wir viele tolle Leute nicht getroffen, die auf Ihren Spaziergängen bei uns anhielten und sich freundlich und interessiert mit uns unterhielten. Ein ganz besonderer davon war Cavid. Ein unglaublich liebenswerter junger Ingenieur, der uns einlud, ihn und seine Freunde zum Paragliding in den naheliegenden Bergen zu begleiten. Da wir gerade einen ziemlich leeren Terminkalender hatten und gespannt wie die Flitzebogen waren, sagten wir zu. Diese Momente, an denen man wirklich in echten Kontakt mit den Menschen kommt, sind wohl der schönste Teil des Reisens. Wir verbrachten zwei tolle Ausflüge in der Abgeschiedenheit des südlichen Kaukasus mit der ganzen Truppe um Cavid, wurden direkt als dazugehörig akzeptiert und hatten viele lustige und interessante Gespräche. Ob wir uns getraut haben, selbst einmal abzuheben…?